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Werte, Sinn und Motivation – Ein Beitrag zur Identität und Zusammenarbeit in Teams

Autorenbild: Susanne BauerSusanne Bauer

Ein Blogartikel von Sabine Indinger und Gabi Preßlinger-Bukovica



Sinn kann nicht gegeben, sondern nur gefunden werden.“ Diese Aussage Viktor Frankls stellt die Essenz der Logotherapie dar – und ist auch im beruflichen Kontext von zentraler Bedeutung. Besonders in Zeiten von Remote- und Hybrid-Arbeit, in denen die physische Nähe fehlt, kann ein klarer Sinn nicht nur das Zugehörigkeitsgefühl im Team stärken, sondern auch die Motivation aufrechterhalten. Doch was bedeutet das konkret?


In diesem Beitrag beleuchten wir, wie Sinn durch die Verwirklichung von Werten auf individueller, Team- und Organisationsebene entsteht – und welche Rolle Führungskräfte, Mitarbeitende und Teams dabei spielen.


Sinn = Werteverwirklichung: Ein individueller und kollektiver Beitrag

Frankl definiert Sinn als die Verwirklichung von Werten. Dabei spricht er von 3 Wertkategorien als den „3 Wegen zum Sinn“:

  1. Schöpferische (kreative) Werte: Werte, die durch aktives Tun und Gestalten verwirklicht werden – z. B. Erfüllung der Arbeitsaufgaben, kreative Projekte oder das Erreichen von Zielen.

  2. Erlebnis- / Beziehungswerte: Werte, die durch das Erleben von Kollegialität, inspirierenden Begegnungen oder der Freude an einer Aufgabe entstehen – z. B. ein Erfolgserlebnis, ein wertschätzendes Feedback, gemeinsames Feiern, produktive und positive Meetings oder der Stolz auf ein gelungenes Projekt.

  3. Einstellungswerte / Haltung: Werte, die sich in der Haltung gegenüber schwierigen Arbeitsbedingungen oder Herausforderungen zeigen – z. B. Geduld bei Konflikten, Gelassenheit in stressigen Phasen oder die Bereitschaft, in einer Krise das Beste aus der Situation zu machen - oder ganz allgemein der Haltung/Einstellung gegenüber der Arbeitstätigkeit, dem Team, der Führungskraft, der Organisation.


Diese Werte können sich wiederum auf verschiedene Ebenen erstrecken:

  • Individuell: Jeder Mitarbeitende bringt eigene Werte und Überzeugungen mit. Sinn entsteht, wenn diese Werte im Arbeitsalltag Ausdruck finden – sei es durch kreative Ideen, Problemlösungen oder soziale Interaktionen.

  • Im Team: Gemeinsame Werteverwirklichung schafft Bindung und Identität. Ein Team, das seine kollektiven Beiträge erkennt, kann Motivation und Zusammenhalt nachhaltig stärken.

  • In der Organisation: Der Beitrag des Einzelnen und des Teams zum „Großen Ganzen“ ist ein wichtiger Aspekt der Sinnstiftung. Mitarbeitende, die wissen, wie ihre Arbeit die Organisation voranbringt, fühlen sich verbunden und wertgeschätzt.


Herausforderungen und Rahmenbedingungen

In einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt wird die Verbindung von Sinn und Zugehörigkeit oft auf die Probe gestellt. Die physische Distanz erschwert es, spontane Momente der Sinnfindung zu erleben. Gleichzeitig bieten aktuell Remote-Work-Modelle die Chance, neue Ansätze zu entwickeln, um Werte und Sinn bewusst in den Fokus zu rücken. Mit “Tomorrowmind” (1) bringt zum Beispiel Prof. Dr. Martin Seligman, Begründer der Positiven Psychologie, Ende 2023 ein Konzept und evidenzbasiertes Toolset für den Arbeitsplatz des 21. Jahrhunderts, wonach dem herkömmlichen “Meaning” Aspekt der Positiven Psychologie mit “Mattering” noch mehr Gewicht und ein erweitertes Verständnis gegeben wird: Bedeutsamkeit, Wichtigkeit. Das eigene Wirken und Sein als sinn- und wertvoll empfinden. Von Belang sein (belonging!). “Du bist (mir) wichtig.” Mattering ist die Motivation, die uns vorantreibt. Zu diesem erweiterten “Wozu” Verständnis von Purpose und Sinn können Führungskräfte gut beisteuern.


Die Rolle der Führungskraft und des Teams

Sinn und Werteverwirklichung sind letztlich eine zutiefst individuelle Sache: nur jede*r für sich selbst hat es in der Hand, Sinn in seiner/ihrer Arbeit zu finden und zu verwirklichen. Hilfreich, gleichsam als „Sinn-Seil“, an dem man sich – immer wieder und täglich neu – entlang hanteln kann, können die oben beschriebenen 3 Wege zum Sinn sein.

Bezeichnenderweise schreibt Viktor Frankl schon 1947 über den Sinn der Arbeit: „ … kann die Arbeit jenes Feld darstellen, auf dem die Einzigartigkeit eines Individuums in Beziehung zur Gemeinschaft steht und so Sinn und Wert bekommt. Dieser Sinn und Wert haftet jedoch der jeweiligen Leistung (als einer Leistung für die Gemeinschaft) an, nicht aber dem konkreten Beruf als solchem. … In den Fällen, wo der konkrete Beruf kein Gefühl der Erfüllung aufkommen lässt, liegt die Schuld am Menschen nicht am Beruf." (2)


Oh-ha, da ist er ganz schön streng mit uns, der Herr Frankl. Was ich da aber vor allem hineinlese: es liegt in hohem Maße an und bei uns, ob und inwieweit wir in unserer Arbeit Sinn finden und verwirklichen und nicht in erster Linie daran, welcher Arbeit wir nachgehen, sondern wie wir ihr nachgehen. Immerhin erkennt er ein paar Zeilen weiter an: „Die natürliche Beziehung des Menschen zu seiner beruflichen Arbeit als dem Felde möglicher schöpferischer Werteverwirklichung und einzigartiger Selbsterfüllung erleidet durch die herrschenden Arbeitsverhältnisse vielfach eine Verbiegung.“ (2)


Und in beide Zitate lese ich hinein, dass Sinnfindung und -verwirklichung sowohl Aufgabe des Einzelnen sind, als auch Aufgabe aller Beteiligten, d.h. auch Führungs- und Teamaufgabe.

Führungskräfte übernehmen hier eine Schlüsselrolle als Ermöglicher:innen:

  • Sie schaffen Raum für Reflexion: „Was ist dein Beitrag zum Team? Was ist unser gemeinsamer Beitrag zur Organisation?“

  • Sie fördern die Integration von Sinn in den Arbeitsalltag: durch regelmäßige Gespräche, klare Kommunikationswege und das bewusste Anerkennen und Feiern von Erfolgen (sog. “Accomplishment” nach dem P.E.R.M.A. Modell der Positiven Psychologie) (3)

Teams wiederum tragen dazu bei, durch Interaktionen und Zusammenarbeit den „Sinn“ aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Sinn hegen und pflegen.

  • Sie nehmen sich Zeit für Reflexion: “Wofür gibt es unser Team überhaupt und was würde fehlen, wenn es unser Team nicht gäbe? Sind wir heterogen genug?”

Das einzelne Teammitglied schließlich begibt sich auf die individuelle Ebene und setzt sich mit Werteverwirklichung auseinander:

  • Selbstreflexion und Kommunikation: “Was ist mir in der Zusammenarbeit wichtig und wertvoll? Was ist mein Beitrag, den ich ins Team und in die Organisation einbringen möchte? Sind das meine Stärken und welche besonders oder meine eigenen Werte? Wofür will ich Teil dieses Teams sein?

  • Nutzt oben beschriebene Formate oder fordert sie bei Führungskraft und im Team ein, wenn es sie nicht gibt.


Sinn und Motivation: Eine untrennbare Verbindung

Sinn und Motivation beeinflussen sich gegenseitig. Wer den Sinn in seiner Arbeit erkennt, ist motivierter, aktiv zum Erfolg des Teams und der Organisation beizutragen. Umgekehrt entsteht Motivation, wenn wir sehen, dass unsere Arbeit Werte verwirklicht und eine positive Wirkung hat.

Lösungsfokussierte Ansätze können hier unterstützen:

  • Fragen wie „Was hat uns im letzten Projekt erfolgreich gemacht?“ oder „Worauf bist du besonders stolz?“ bringen den Beitrag des Einzelnen und des Teams ins Bewusstsein.

  • Das gemeinsame Reflektieren darüber, wie die Arbeit zur Organisation beiträgt, stärkt die Identifikation mit dem „Großen Ganzen“.


Praktische Ansätze für Sinnintegration

  • Mitarbeitergespräche und Teammeetings können ideal als Plattformen genutzt werden, um Fragen zu klären wie: 

  • Welche Werte möchten wir in unserer Arbeit verwirklichen?“

  • Was ist mein individueller Beitrag auf Basis meiner Werte im Team und in der Organisation als Ganzes?“

  • Was brauche ich, was brauchen wir für (m)eine Werteverwirklichung im Team und in der Organisation – und von dir als Führungskraft?“

  • Führungskräfte können durch kleine, kontinuierliche Impulse dazu beitragen, Sinn und Werte in den Alltag zu integrieren – etwa durch Feedback oder das bewusste Erkennen und Anerkennen von Beiträgen in Retrospektiven oder ähnlichen Formaten. Der Einsatz von Bedürfniswortschätzen (4) hat sich ebenfalls als hilfreich erwiesen, Bedürfnisse zu benennen, um damit wiederum in einen Wertedialog zu kommen.


Die Herausforderung der „existential labor“: Sinnfindung als Belastung?

Während Sinn und Motivation häufig als Schlüssel zu erfüllter Arbeit gesehen werden, birgt die intensive Beschäftigung mit Sinn auch Risiken. Bailey und Madden (2017) sprechen in diesem Zusammenhang von „existential labor“ – der emotionalen und kognitiven Anstrengung, die erforderlich ist, um Sinn in der Arbeit zu finden und aufrechtzuerhalten. (5)

Insbesondere in Organisationen, die stark auf Werte und Sinnstiftung setzen, kann dies zu einer zusätzlichen Belastung führen. Mitarbeitende fühlen sich unter Druck gesetzt, ständig den

tieferen Sinn ihrer Arbeit zu hinterfragen oder persönliche Werte mit organisationalen Erwartungen in Einklang zu bringen.


Drei kritische Aspekte:

  • Sinn als Bürde: Der Druck, die eigene Arbeit als bedeutungsvoll wahrzunehmen, kann Frustration oder sogar Erschöpfung auslösen – besonders, wenn äußere Umstände oder die Aufgaben wenig sinnhaft erscheinen.

  • Konflikte zwischen individuellen und organisationalen Werten: Mitarbeitende können in ein Spannungsfeld geraten, wenn ihre persönlichen Werte so gar nicht mit den Zielen oder der Kultur der Organisation übereinstimmen.

  • Instrumentalisierung von Sinn: Wenn Sinnstiftung nur als Mittel zur Steigerung von Leistung oder Produktivität genutzt wird, verliert sie ihre Authentizität und kann zynische Reaktionen hervorrufen.


Ein bewusster Umgang mit Sinn

Es ist daher wichtig, Sinn nicht zu einer Verpflichtung zu machen, sondern als Angebot zu gestalten. Organisationen und Führungskräfte können Raum schaffen, in dem Sinn individuell entdeckt werden kann – ohne Zwang, Verordnung oder einseitige Vorgaben. Sinn darf Freude machen. Zudem braucht es Anerkennung, dass nicht jede Arbeit immer und in jedem Moment als sinnhaft erlebt wird. Die Akzeptanz dieser Realität und dies auch zu kommunizieren kann den Druck mindern und eine gesunde Balance fördern.


Fazit: Sinn als Grundlage für erfolgreiche Teams

Sinn ist kein statisches Konzept, sondern ein lebendiger Prozess. Er entsteht durch die Verwirklichung von Werten – individuell, im Team und als Teil der Organisation. Besonders in herausfordernden Zeiten können Sinn und Werteverwirklichung nicht nur die Motivation stärken, sondern auch das Zugehörigkeitsgefühl und die Identität fördern.

Die Frage, die bleibt, lautet: „Was ist mein Beitrag – und was ist unser gemeinsamer Beitrag?“  Wenn wir diesen Sinn finden, schaffen wir nicht nur erfolgreichere Teams, sondern auch erfülltere Arbeitswelten.

 

Foto: Sinnfindung oder Sinngebung? Mülleimern in Wien muss - anders als bei Teams - Sinn gegeben werden.



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(1) Seligman Martin, Rosen Kellerman Gabriella, Tomorrowmind: Das Toolkit für mentale Stärke, Gesundheit und mehr Freude

(2) Viktor Frankl, Ärztliche Seelsorge, S. 167 (Ausgabe aus 2005)

(3) Accomplishment als einer der 5 Faktoren, die Menschen und Organisationen zum Aufblühen bringen. P.E.R.M.A. steht als Acronym für Positive Emotions, Engagement, Relationships, Meaning/Mattering und Accomplishment - ein Basismodell der Positiven Psychologie.

(5) Bailey, Catherine/Madden, Adrian/Alfes, Kerstin/Shantz, Amanda/Soane, Emma (2017). The mismanaged soul: Existential labor and the erosion of meaningful work. Human Resource Management Review 27(3), 416–430. 

 

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