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Wie aus einem Bauchfleck Erkenntnis entstehen kann

Ein Blog-Artikel von Susanne Bauer

Foto von ochimax studio auf Unsplash
Foto von ochimax studio auf Unsplash

Ein Bauchfleck oder Bauchklatscher ist ein missglückter Sprung ins Wasser, bei dem man mit der ganzen Körperlänge, vor allem aber mit dem Bauch auf dem Wasser aufschlägt. Das kann unangenehm, peinlich, schmerzhaft oder imageschädigend sein, aber auch als Quelle der Erkenntnis dienen. Lernen kann man aus einem Bauchfleck nur, wenn man es schafft, konstruktiv mit dem Missgeschick umzugehen, und nicht im „Bauchfleck-Modus“ zu bleiben. Diese sommerliche Metapher dient in diesem Blogartikel dazu, aufzuzeigen, was jede und jeder tun kann, wenn im Job einmal etwas schiefgeht.


„Eh klar, das brauchst du mir nicht erklären.“ Oder: „Das kenne ich eh schon, dazu brauche ich nichts mehr lernen.“ Oder: „Ich weiß eh, was passiert ist, da hat sicher wieder der X nicht mit dem Y geredet.“ Kennen Sie solche Aussagen? Sie spiegeln die Überzeugung wider, dass nichts mehr dazugelernt werden kann – weil genügend Wissen vorhanden ist. Aber nur scheinbar. Mit diesen schnell dahin gesagten Phrasen wird an der Oberfläche weiter gewurstelt, ohne Ursachenforschung, ohne Überprüfung von Annahmen, ohne Infragestellen der eigenen Interpretationen. Dieses Verhalten ist in vielen Organisationskulturen nachvollziehbar: Wenn ich zugebe, dass ich nicht ausreichend Wissen oder Informationen besitze, schmälert das meinen (Selbst)Wert, weil ich schwach, inkompetent oder unzulänglich wirke. Daher werde ich weder vor mir selbst und schon gar nicht vor anderen eingestehen, dass ich etwas nicht weiß oder nicht einschätzen kann. Der alte Management-Glaubenssatz: „Als Führungskraft darfst du keine Schwäche zeigen, und musst immer so tun, als ob du alles unter Kontrolle hast.“, gilt in vielen Situationen leider immer noch. Und in Zeiten, wo Empörung, Lautstärke und Likes bestimmen, wie hoch man in der Rangfolge steht, kann man sich Schwäche überhaupt nicht leisten.


Bauchfleck bleibt Bauchfleck, wenn…

Während wir uns also gegenseitig mit Überzeugungen, Behauptungen und schnellen Urteilen übertrumpfen, bleibt eines immer mehr auf der Strecke: Das Lernen. Auch wenn es in den meisten Unternehmen nicht ganz so wild zugeht, liegt doch viel Lernpotenzial brach. Stellen Sie sich vor, es geht etwas schief. Ein metaphorischer Bauchfleck, vielleicht sogar mit Anlauf und vor großem Publikum. Das schmerzt, es ist schambehaftet (womöglich lacht sogar jemand aus dem Publikum), es ärgert oder enttäuscht und es bleibt im Gedächtnis. Normalerweise schießen dann solche Gedanken ein: „Wie peinlich! Ich will im Erdboden versinken! Wie konnte mir das nur passieren? Hoffentlich hat es niemand (die/der wichtig ist) gesehen! Wie komme ich jetzt aus der Situation wieder raus? Könnte ich so tun, als ob nichts passiert wäre? Ich mache nie wieder einen Sprung! Warum bin ich nur so blöd? Das kann ich mir jetzt lange anhören. Die lachen sich kaputt über mich! …“ So schnell wie möglich versucht man dann, sich zu verstecken und sich der Reaktion der anderen zu entziehen, in der Hoffnung, dass der Bauchfleck schnell wieder vergessen wird. 


Sollte es jemand wagen, auf den Bauchfleck anzusprechen, gibt es oft Ausreden („Bin ausgerutscht, Sonne hat geblendet, ungünstige Windverhältnisse.“ – d.h. „Der Fehler liegt sicher nicht bei mir!“), Beschönigungen („War ja nicht so schlimm.“) Schuldzuweisungen („Der Bademeister hat mich abgelenkt! Der hinter mir hat mich gerempelt!“) oder Schweigen. Was für ein bilderbuchhafter, destruktiver Teufelskreis. So bleibt der Bauchfleck ein Bauchfleck, und vielleicht wird er in der Erinnerung auch noch viel schlimmer – eine Katastrophe, ein Desaster, fast ein Weltuntergang. Daraus gelernt hat man nichts Konstruktives. Und um den Selbstwert zu schützen, weiß man eh, wie man das nächste Mal tut: vermeiden, verschleiern, Schuldige suchen.


Lerneffekt, wenn es anderen passiert

So ein Missgeschick oder Fehler ist oft emotional schmerzhaft und schambehaftet, und das löst wiederum Angst aus. Im Endeffekt leidet der Selbstwert. Anders ist das, wenn wir beobachten, wie andere einen Bauchfleck hinlegen. Da kommen oft zwei Reaktionen. Entweder: „Ui, das hätte mir auch passieren können“, oder – Hand aufs Herz – manchmal auch ein stilles „Puh, zum Glück war ich das nicht!“ Was wir in beiden Fällen tun: Wir lernen, weil unser eigener Selbstwert nicht betroffen ist. Somit können wir Distanz wahren, den Überblick behalten und besser analysieren, was da genau geschehen ist. 


Das Gleiche gilt auch für Beinahe-Bauchflecke, also Situationen, die fast schiefgegangen wären, aber dann doch nicht sind. Auch wenn uns das selbst passiert, steht am Ende nicht der Fehler, sondern das „Ist noch gutgegangen.“ Auch hier gibt es kein „unhappy end“, das dem Lernen im Weg steht.


Was es für ein Lernen aus dem Bauchfleck braucht

In Organisationen, die nach dem Motto „Fehler sind peinlich, kosten Zeit, Geld und Ansehen – also lieber vermeiden“ leben, findet man eine Fehlervermeidungskultur, in der Innovation stirbt, bevor sie überhaupt entstehen kann. Weil niemand mehr wagt, etwas auszuprobieren. Weil niemand sagt, was schiefläuft. Weil das Scheitern als persönliches Versagen gilt.

Was es stattdessen braucht, ist eine Lernkultur, in der klar ist:

  • Fehler sind Teil des Prozesses.

  • Nicht jeder Bauchfleck ist gleich schlimm – es kommt auf den Kontext an.

  • Entscheidend ist nicht, dass jemand fällt, sondern wie man danach aufsteht – und ob man was draus macht.


Amy Edmondson beschreibt in ihrem Buch „Right Kind of Wrong“ drei unterschiedliche Ebenen, die wahrgenommen werden müssen, um aus Fehlern zu lernen: 

  • Selbst-Wahrnehmung: Was war mein Anteil? Was habe ich gesehen, gefühlt, übersehen?

  • Situations-Wahrnehmung: Was war da wirklich los – und was ist nur Interpretation (meine eigene oder Hören-Sagen)?

  • System-Wahrnehmung: Was im größeren Ganzen hat diesen Fehler begünstigt? Waren Prozesse unklar, Erwartungen nicht abgestimmt?


Aus Bauchfleck wird Lernen, wenn…

All das entsteht nicht selbstverständlich oder von alleine. Um diese Haltungen und Wahrnehmungen zu fördern, müssen alle mithelfen. Führungskräfte spielen dabei eine besondere Rolle, als Vorbild und einflussreiche Person. Förderliches Verhalten umfasst zuhören, nachfragen, analysieren, Verantwortung übernehmen, ohne zu verurteilen und ohne mit dem moralischen Zeigefinger zu reagieren. 


Hilfreiche Fragen können sein:

  • Was ist da gerade wirklich passiert?

  • Was weiß ich – und was weiß ich nicht?

  • Wer war beteiligt oder betroffen – und wer nicht?

  • Wer wurde nicht gehört?

  • Was kann ich beeinflussen, und was liegt außerhalb meines Spielraums?


Und natürlich spielt auch hier die psychologische Sicherheit eine Rolle, dass alle Team-Mitglieder sich trauen, Unangenehmes anzusprechen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Zu diesem Thema haben wir an anderer Stelle schon ausführlich geschrieben (zum Blog-Artikel: Psychologische Sicherheit als Schlüsselfaktor).


Mit einer konstruktiven Aufarbeitung eines Bauchflecks können Erkenntnisse daraus auch für andere zugänglich werden. Wie oben beschrieben lernen wir ja besonders gut aus den Fehlern anderer. Führungskräfte oder Vertrauenspersonen können auch dabei helfen, die Erkenntnisse greifbarer zu machen und so darzustellen, dass niemand bloßgestellt wird. 


Zum Schluss

Ein paar Reflexionsfragen zum Mitnehmen und zum Üben der Selbst-Wahrnehmung:

  • Wann war mein letzter Bauchfleck – und was habe ich wirklich draus gelernt?

  • Welche Fehler beobachte ich bei anderen – und wie bewerte ich sie?

  • Wieviel Raum gebe ich in meinem Team für Scheitern, Lernen und Wieder-Versuchen?

  • Wie oft tappe ich in die Falle, zu glauben, ich „weiß es eh“? 


Und wer noch mehr wissen will, dem sei das Buch „Right Kind of Wrong“ von Amy Edmondson empfohlen oder der Ladies4Future-Workshop „Lernkultur und konstruktiver Umgang mit Fehlern“.



 
 
 

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