Wie geht es dir wirklich? Soziale und emotionale Unterstützung im Team - Teil 2
- Susanne Bauer
- 21. März
- 11 Min. Lesezeit
Ein Blog-Artikel von Gabi Preßlinger-Bukovica und Susanne Bauer

Emotionen am Arbeitsplatz sind oft ein Tabuthema, denn in der Berufswelt zählen Rationalität, Professionalität und Leistung. Doch die Realität sieht anders aus: Unsere Emotionen beeinflussen, wie wir arbeiten, entscheiden und miteinander umgehen. In diesem zweiten Teil unserer Blog-Serie über soziale und emotionale Unterstützung im Team (hier gehts zu Teil 1) beschäftigen wir uns mit dem bewussten Umgang mit Gefühlen im beruflichen Kontext. Warum ist es wichtig, Emotionen zuzulassen? Wie können wir sie konstruktiv einsetzen? Und welchen Einfluss hat das auf die Dynamik in Teams? Das wollen wir vorwegnehmen: Ein Arbeitsplatz, an dem echte zwischenmenschliche Verbindungen entstehen dürfen, ist nicht nur produktiver, sondern auch gesünder und erfüllender für alle Beteiligten. Und: wir brechen ein bisschen mit dem Tabu "Liebe am Arbeitsplatz".
Eine neue Sicht auf Liebe
Barbara Fredrickson ist eine renommierte Psychologin, die vor allem für ihre Forschung zu Emotionen und deren Einfluss auf unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit und unser soziales Leben bekannt ist. Sie hat im Zuge ihrer wissenschaftlichen Arbeit 10 Positive Emotionen definiert, die besonders starke Effekte haben, wie z.B. Freude, Dankbarkeit, Hoffnung und eben auch Liebe. Fredrickson's Broaden-and-Build-Theorie (1) besagt, dass positive Emotionen die menschliche Wahrnehmung erweitern (broaden) und Ressourcen aufbauen (build):

Insbesondere Liebe als eine der 10 Positiven Emotionen erweitert unsere Wahrnehmung, fördert Kreativität und stärkt die Resilienz. Wer regelmäßig Liebe erlebt, entwickelt langfristig mehr Ressourcen für Wohlbefinden und Erfolg.
"Liebe ist eine Emotion, die jedes Mal den Körper und Geist durchläuft, wenn wir über ein positives Gefühl eine Verbindung zu einem anderen Lebewesen aufnehmen. Dieses Gefühl stellt sich in Mikromomenten ein und erzeugt eine 'Synchronizität' zweier fühlender Organismen."
(Barbara Fredrickson)
Im Buch Love 2.0 (2) öffnet sich eine recht revolutionäre Sichtweise auf Liebe, die über die traditionelle romantische Vorstellung hinausgeht. Dort definiert Fredrickson Liebe als "Mikro-Momente positiver Resonanz" – kurze, geteilte emotionale Verbindungen zwischen Menschen, die durch gegenseitiges Wohlwollen und Offenheit entstehen.
Diese Momente können überall auftreten – mit Partnern, Freunden, Kollegenschaft. Sogar in kurzen Begegnungen mit Fremden können wir sie erleben. Liebe ist demnach nicht auf romantische Beziehungen beschränkt und das Potenzial für Liebe ist in jedem Moment vorhanden und für alle Menschen, denen wir begegnen. Auch am Arbeitsplatz.
Wie entstehen Mikro-Momente der Liebe?
Gemeinsames Lächeln oder Lachen – z. B. mit einer freundlichen Verkäuferin im Geschäft oder Servicekraft im Café oder mit Menschen an der Supermarktkasse, wenn sich eine Schlange bildet
Aufrichtige, interessierte Gespräche – wenn wir wirklich zuhören und uns mit jemandem verbinden - z.B. ein freundliches Gespräch in der Arzt-Ordination, wenn sich der Patient neben dir über die lange Wartezeit beschwert. Frage: "Wo wären Sie denn jetzt viel lieber?"
Blickkontakt und Wärme in der Stimme – kleine Gesten, die eine Verbindung schaffen. z.B. ein hörbares Danke an den Bus-Chauffeur, der auf dich wartet und einem sogar die Türe öffnet statt loszufahren.
Achtsame Präsenz – wenn wir unserem Gegenüber in einem Gespräch unsere volle Aufmerksamkeit und Zeit schenken
Bei Spaziergängen, am Weg zur / von der Arbeit andere Menschen grüßen
die Teammitglieder der Nachbarabteilung am Mittagstisch grüßen
Stille Mitfreude am "Glück der anderen" (Turteltäubchen in den Öffis, ein Seniorenpärchen Hände-haltend auf einer Parkbank oder ein Kollege wird gelobt.)
Gefühle als Teil der Unternehmenskultur
Wir kennen Beispiele in Organisationen, bei - und mit denen - ganz bewusst positive Gefühle gefördert werden. Ein originelle Idee fanden wir sog. "Positiv-Audits", bei denen - in dem Fall in einem Einzelhandelsunternehmen - regelmäßig in die Filialen ausgefahren wird, um nur die Prozesse einer Revision zu unterziehen, die besonders gut funktionieren. Und dies auch alle wissen zu lassen, die Prozessverantwortlichen bekamen eine Bühne und wurden ausgezeichnet.
Jetzt kann vielleicht dafür keine eigene Revisionstruppe abgestellt werden, doch es ist eine Überlegung wert, bei Audits ganz bewusst auch nach Gelungenen zu sehen. Somit werden schon einmal weniger "Negativ-Rabattmarken" gesammelt und das Gefühl der Sorge, Angst oder Unsicherheit ("was finden sie diesmal wieder?") dreht sich in positive Gefühle wie Stolz, Freude oder Dankbarkeit. Ja, vielleicht sogar Vorfreude, wenn die nächste Revision sich für einen Besuch ankündigt.
Gefühle sind schneller als Gedanken
Menschen sind emotionale Wesen, grundsätzlich aber auch zu Rationalität fähig. Oder anders ausgedrückt: Wir sind keine rationalen Wesen, die fühlen – wir sind fühlende Wesen, die denken. (3) Das hat sogar logisch nachvollziehbare Gründe. Emotionen sind evolutionär älter und werden schneller aktiviert als rationale Überlegungen. Der präfrontale Kortex, wo das rationale Denken angesiedelt ist, springt später an als das limbische System mit der Amygdala, die für emotionale Reaktionen zuständig ist. Die Amygdala ist ständig auf Empfang, um Bedrohungen frühzeitig zu entdecken, denn schnell auf Gefahren reagieren zu können, sicherte das Überleben.
Unsere Gehirne sind immer noch so gebaut. Allerdings passt das nicht mit einigen Glaubenssätzen und Vorstellungen im Berufsleben zusammen. Da herrscht oft das Vorurteil, dass Emotionen nichts in der Arbeit verloren haben (es geht ja um sachliche und fachliche Aufgaben), dass man möglichst keine Schwächen zeigen darf (Gefühle zeigen ist oft mit Schwäche konnotiert) und dass es "falsche" oder "schlechte" Gefühle gibt (akzeptiert sind Freude, Stolz oder Begeisterung, pfui sind Trauer, Angst oder Wut, um nur einen kleinen Auszug zu nennen). (4) Und da passt es uns gar nicht, wenn unser Gehirn mit den Emotionen schneller ist als mit der Logik. Dieser gedankliche Widerspruch macht emotionale Situationen dann noch unangenehmer - diese blöden Gefühle sind trotz aller Rationalität immer noch da, und diese Tatsache erzeugt noch mehr unerwünschte Gefühle. Und nicht nur das, Emotionen spielen natürlich auch eine ganz wesentliche Rolle bei unseren Entscheidungen. Die meisten Entscheidungen sind emotional dominiert, auch wenn es unbewusst geschieht oder wir etwas anderes glauben wollen. So passiert es dann auch, dass wir manchmal erst nach dem Treffen einer Entscheidung rationale Gründe zur Rechtfertigung suchen.
Emotionale Intelligenz ist Voraussetzung für emotionale Unterstützung
Wenn Gefühle so tief in unserer Biologie verwurzelt sind, hilft es also nicht, deren Einfluss zu leugnen oder zu ignorieren. Stattdessen können wir mit ihnen sehr konstruktiv umgehen und sie für unseren Vorteil nutzen. Emotionale Intelligenz, also der bewusste Umgang mit Emotionen, will allerdings gelernt sein. Sie umfasst mehrere Komponenten: Selbstwahrnehmung (eigene Emotionen erkennen), Selbstregulation (Gefühle bewusst steuern), Empathie (andere verstehen), und soziale Fähigkeiten (angemessen kommunizieren).
Folgende Aspekte und Schritte können zur Stärkung der Emotionalen Intelligenz dienen:
Gefühle erkennen.
Verschwitzte Handflächen, Herzklopfen und ein errötetes Gesicht können physische Anzeichen für Gefühle sein. In diesem Beispiel etwa Verliebtheit, Ärger oder Scham. Was von außen nur schwer unterscheidbar ist, braucht im Inneren mehr Klarheit, um konstruktiv damit umzugehen. Folgende Fragen können bei der Identifizierung helfen: Welche körperlichen Anzeichen merke ich bei welchen starken Gefühlen? Was sind typische Situationen, in denen ich stark emotional reagiere? Wie heißt das Gefühl, das ich gerade spüre? Hier eine kleine Auswahl an Gefühlsvokabeln: Freude, Leichtigkeit, Ruhe, Ausgeglichenheit, Stärke, Selbstvertrauen, Verbindung, Geborgenheit, Lebendigkeit, Inspiration, Traurigkeit, Enttäuschung, Angst, Unsicherheit, Frustration, Ärger, Erschöpfung, Überforderung, Scham, Schuld.
Was uns zum nächsten Aspekt bringt:
Bedürfnisse benennen.
Starke Emotionen können mitunter ausgelöst werden, wenn Bedürfnisse nicht entfaltet werden können. Jeder von uns hat Bedürfnisse und diese sind im Alltag sehr bedeutungsvoll - nur ist uns das in den meisten Fällen gar nicht bewusst. Besonders, wenn es hitzig zugeht. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bedürfnisse von Mitarbeitenden in der Arbeit und im gesamten Leben vordergründig sind, ist ein weiterer Weg zum konstruktiven Umgang mit Situationen, in denen immer wieder starke Emotionen auftauchen, die man sich nicht erklären kann. Und das darf zur Sprache kommen - nur wie?
Eine praktische Ressource, die dafür genutzt werden kann, ist ein Bedürfnis-Wortschatz. Diese "Kommunikations-Krücke" dient als erste Orientierung, welche Bedürfnisse es überhaupt gibt - wobei solche Sammlungen nie vollständig und gleich sind, denn es gibt viele und unterschiedliche Bedürfnisse. In jedem Fall kann man aus der Fülle gut wählen und sich einmal bewusst werden, welche Bedürfnisse wir in uns tragen. Das lässt uns vielleicht bald erkennen, wann einer Herausforderung ein Bedürfniskonflikt zu Grunde liegt. Was uns schließlich ermöglicht, spezifisch auszudrücken, was wir brauchen und was uns wichtig ist.
Beispiel für einen Bedürfnis-Wortschatz (5):
Grundbedürfnisse (physische Bedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Schlaf, Bewegung, Sicherheit, Gesundheit, Schutz vor Schmerz, frische Luft, Ruhe/Erholung)
Emotionale Bedürfnisse (z.B. Zugehörigkeit, Geborgenheit, Anerkennung, Wertschätzung, Liebe, Unterstützung, Verständnis, Nähe, Vertrauen, Mitgefühl)
Autonomie und Selbstbestimmung (z.B. Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung, Entscheidungsfreiheit, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung, Individualität)
Sinn und Orientierung (z.B. Klarheit, Sinnhaftigkeit, Inspiration, Wachstum, Entwicklung, Lernen, Spiritualität, Lebenszweck)
Spiel und Kreativität (z.B. Leichtigkeit, Spaß, Humor, Entfaltung, Kreativität, Ausdruck, Abenteuer)
Soziale Bedürfnisse (z.B. Gemeinschaft, Austausch, Zugehörigkeit, Kooperation, Harmonie, Gerechtigkeit, Respekt)
Beitrag und Wirksamkeit (z.B. etwas Sinnvolles tun, anderen helfen, wertgeschätzt werden für das, was man tut, Spuren hinterlassen, Verantwortung übernehmen)
Struktur und Ordnung (z.B. Klarheit, Orientierung, Planbarkeit, Sicherheit, Stabilität, Beständigkeit, verlässliche Routinen)
Zur Erforschung der Bedürfnisse empfehlen wir folgende Fragen:
Welche Bedürfnisse können erfüllt werden? Welche mehr, welche weniger?
Bei welchen Gelegenheiten kracht es, weil Bedürfnisse vielleicht mit denen der Führungsperson, des Teams oder des Unternehmens kollidieren / übergangen werden?
Bei welchen Herausforderungen im Arbeitsumfeld könnte es wichtig sein, den eigenen Bedürfnissen auf den Grund zu gehen. z.B. bei Änderungen von eingespielten Abläufen.
Praktisch einsetzen kann man den Bedürfnis-Wortschatz beispielsweise
in formellen Mitarbeitergesprächen wie z.B. Jahres- oder Mid Year Reviews: den Wortschatz bei der Vorbereitung auf das Gespräch mit dem Team / der Führungsperson nutzen. Sowohl bei der Rückschau auf das vergangene Jahr als auch bei der Planung des nächsten Jahres benennen. Wovon wünsche ich mir weniger, gleich viel oder mehr, und wieso?
in Form eines Boards mit Team-Bedürfnissen, das laufend erweitert und an neue Situationen angepasst wird, z.B. wenn neue Projekte anstehen oder zum Onboarden von Kolleginnen und Kollegen, die ins Team kommen.
Gefühle akzeptieren.
Gefühle sind eben manchmal da, man kann sie nicht verhindern. Statt dagegen zu kämpfen, damit zu hadern oder sie zu leugnen, hilft für einen konstruktiven Umgang nur eines: die Gefühle zu akzeptieren. Manchen Menschen hilft es, wenn sie sich gedanklich vorsagen: "Ich fühle das Gefühl (Enttäuschung / Machtlosigkeit / Verbitterung / etc.), es ist da und begleitet mich eine Weile. Und ich lasse es zu, dass ich mich (enttäuscht / machtlos /verbittert / etc.) fühle." Wichtig dabei ist die Formulierung: Ich bin nicht das Gefühl, sondern ich fühle es gerade. Dahinter steckt eine weitere hilfreiche Haltung: Das Gefühl vergeht wieder, ist nicht permanent, und ich kann auch andere Gefühle fühlen. (6)
Gefühlsausbrüche kontrollieren.
Wer sich von den eigenen Gefühlen überrumpeln oder vereinnahmen lässt, wird unprofessionell auf andere wirken. Hier hilft Selbstreflexion, Selbsterkenntnis und das Wissen, wie man sich selbst rechtzeitig "bremst". Kleine (vorher eingeübte) Entspannungs- oder Atemtechniken können helfen, sich zu beruhigen. Die "Gefühlsenergie" kann auch in Bewegung umgewandelt werden: ein paar schnelle Schritte, Muskeln anspannen und entspannen, oder Arme und Beine strecken, sind schnell und auch in Meetings meist unauffällig umgesetzt. Wenn mehr an Gefühlen raus muss, braucht es eine Pause.
Gefühle auf eine professionelle Art teilen.
Indem man über die eigenen Gefühle erzählt und so wenig Interpretationsspielraum wie möglich für die anderen lässt, kann man nicht nur Missverständnisse und Konflikte vermeiden. Es zeigt vor allem Offenheit und die Bereitschaft, sich auf die anderen im Team einzulassen. Gegenseitiges Verständnis und Verbundenheit im Team werden gefördert, weil die eigene Offenheit auch eine Einladung an die anderen ist, sich selbst zu öffnen. Und nicht zuletzt wird die emotionale Intelligenz gestärkt: Durch den Austausch lernen wir, Gefühle besser einzuordnen und die passenden Reaktionen zu wählen. Wir lehnen uns bei der professionellen Formulierung unter anderem an das Vorgehen bei der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) nach Marshall Rosenberg an - siehe Infografik. (7)

Für manche mag das total abgehoben klingen und vielleicht schwer umsetzbar. Wenn die Unternehmenskultur für gewaltfreie Kommunikation noch nicht offen ist, kann man kleine, pragmatische Schritte machen, um das Klima langsam in diese Richtung zu bewegen, ohne sich unwohl zu fühlen. Langsam angehen kann man es z.B. durch folgende Frage: "Ich würde gerne wissen, ob mein Beitrag hilfreich war. Gibt es dazu Feedback?" oder eine Aussage wie: "Ich habe mich letzte Woche intensiv mit X beschäftigt und würde gerne teilen, was ich herausgefunden habe." Ein Ansprechen unter vier Augen ist mitunter einfacher, als vor dem ganzen Team. In einem 1:1-Gespräch könnte man fragen: "Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit manchmal übersehen wird. Was könnte ich tun, um mehr Sichtbarkeit zu bekommen?" Und für eine noch subtilere Vorgehensweise, die allerdings Geduld erfordert, könnte man auf die eigene Vorbildwirkung setzen und andere gezielt für ihre Beiträge loben. Oft führt das dazu, dass Wertschätzung im Team allgemein zunimmt und schließlich auf einen selbst zurückkommt.
Verantwortung für eigene Gefühle übernehmen.
Wenn das Teilen von Gefühlen nicht üblich ist und man sich selbst überwindet, den ersten Schritt zu gehen, kann der Gedanke entstehen: "Wenn ich meine Gefühle teile, dann sollen sie gefälligst auch gesehen werden." Dieser Anspruch ist nachvollziehbar, wird aber leider - gerade in ungeübten Teams - nicht unbedingt erfüllt. Wenn mein Team darauf nicht wie erhofft reagiert, kann ich mich fragen: Habe ich eine unausgesprochene Erwartung gehabt? Bin ich bereit, meine Gefühle zu teilen, ohne eine bestimmte Reaktion zu erwarten? Für eine "emotionale Befreiung", wie Marshall Rosenberg es nennt (8), muss man Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen und sich gleichzeitig von der Verantwortung für die Gefühle anderer "befreien". Das bedeutet, sich bewusst zu machen: Meine Gefühle entstehen durch meine eigenen Bedürfnisse und Erwartungen – nicht durch das Verhalten anderer. Auf unser Beispiel umgelegt würde das bedeuten: Wenn ich mich öffne, bin ich verantwortlich für meine Wortwahl, meine Erwartungen an andere und meine Reaktion auf ihre Rückmeldung – oder deren Ausbleiben. Wenn jemand durch meine Offenheit verunsichert ist, liegt es nicht an mir, diese Unsicherheit zu lösen – wohl aber kann ich empathisch bleiben.
Empathie stärken.
Empathie lässt sich gezielt trainieren, indem man bewusst die Perspektive anderer einnimmt.
Aktives Zuhören: Statt sofort zu antworten, wirklich auf das Gesagte eingehen, nachfragen ("Meinst du, dass …?") und Blickkontakt halten.
Sich in andere hineinversetzen: Vor einem Gespräch überlegen, welche Emotionen oder Bedürfnisse die andere Person haben könnte.
Eigene Vorurteile hinterfragen: Statt vorschnell zu urteilen, bewusst alternative Sichtweisen in Betracht ziehen.
Emotionale Signale deuten: Körpersprache, Mimik und Tonfall bewusst wahrnehmen.
Mehr mitfühlende Fragen stellen: "Wie geht es dir wirklich?"
Brené Brown, Buchautorin und Forscherin zu Themen des menschlichen Verhaltens wie Scham und Empathie, sagt dazu: "Empathie bedeutet, sich mit den Gefühlen zu verbinden, die einer Erfahrung zugrunde liegen." (9)
Aber dann wissen ja die anderen, wie es mir geht
Wenn wir schon Brené Brown zitieren, dann müssen wir auch über ihr Forschungsthema Verletzlichkeit sprechen. (10) In einer Welt, die oft von Perfektionismus und Stärke geprägt ist, stellt sie eine revolutionäre Idee in den Raum: Verletzlichkeit ist keine Schwäche, sondern eine wesentliche Voraussetzung für echtes Wachstum, tiefe Beziehungen und starke Teams. Ihre Forschung zeigt, dass gerade in einem beruflichen Umfeld emotionale Offenheit und gegenseitige Unterstützung den Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem herausragenden Team ausmachen können.
Verletzlichkeit bedeutet, sich authentisch zu zeigen, Risiken einzugehen und Unsicherheiten zuzulassen. Wer sich verletzlich zeigt, macht sich angreifbar – aber auch nahbar und vertrauenswürdig. In Teams, in denen Verletzlichkeit zugelassen wird, entsteht ein Klima des Vertrauens. Mitarbeitende fühlen sich sicher, Ideen zu teilen, Fehler zuzugeben und um Hilfe zu bitten – wir sprechen von der "psychologischen Sicherheit". Dies bedeutet eine Umgebung, in der sich Menschen trauen, authentisch zu sein, ohne Angst vor Bloßstellung oder Bestrafung. (siehe auch unseren Blog-Artikel Psychologische Sicherheit als Schlüsselfaktor - Angstfreie Teams sind erfolgreicher)
Wenn Teammitglieder sich verletzlich zeigen dürfen, fördert das die gegenseitige emotionale und soziale Unterstützung: Teammitglieder fangen sich gegenseitig auf, ermutigen und bestärken einander. Und ja, dann wissen die anderen, wie es mir geht, und das ist gut so. Die Energie, die sonst für das Aufrechterhalten einer „Ich bin stark“-Fassade benötigt wird, kann in fruchtbringendere Dinge gesteckt werden: Selbstfürsorge, Fürsorge für andere oder einfach eine feine gemeinsame Zeit.
Fazit
Der bewusste Umgang mit Emotionen am Arbeitsplatz ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Reife. Der erste Schritt ist, Emotionen nicht als Störfaktor, sondern als wertvolle Ressource zu betrachten. Indem wir unsere eigenen Gefühle besser verstehen und professionell damit umgehen, schaffen wir ein Umfeld, das von Vertrauen, Offenheit und gegenseitiger Unterstützung geprägt ist. Emotionale Intelligenz hilft nicht nur dabei, Konflikte zu reduzieren und effektiver zusammenzuarbeiten, sondern trägt auch maßgeblich zur psychischen Gesundheit und Zufriedenheit im Job bei. Wer sich in seinem Team emotional sicher fühlt, kann kreativer arbeiten, mutigere Entscheidungen treffen und sich langfristig stärker mit seiner Arbeit identifizieren. Es profitieren alle davon – sowohl individuell als auch auf Unternehmensebene. Letztlich führt eine Kultur der emotionalen Offenheit zu mehr Empathie, Respekt und einem tieferen Gemeinschaftsgefühl. Deshalb lohnt es sich, in emotionale Intelligenz zu investieren – für ein gesünderes, erfolgreicheres und menschlicheres Arbeitsumfeld.
In unserem nächsten Blog-Artikel beschäftigen wir uns mit den Themen klare Kommunikation und Grenzen.
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Bild: https://www.eudaimonic.at/lexikon/broaden-and-build-theorie/
Fredrickson, Barbara L. Love 2.0: How Our Supreme Emotion Affects Everything We Feel, Think, Do, and Become. Hudson Street Press, 2013. ISBN-10: 1594630992, ISBN-13: 978-1594630996. Deutsche Ausgabe: Die Macht der Liebe, Campus Verlag, 2. Auflage 2023, ISBN 978-3-593-51811-4
https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/41780-der-kern-des-menschseins.html
vgl. What’s So Good About Feeling Bad? aus The Upside of Your Dark Side, T. Kashdan, R. Biwas-Diener, 2014, ISBN 978-0-14-751644-2, S. 53ff
Liste erstellt mit ChatGPT 4.0, Prompt “Kannst du mir eine Bedürfnis-Liste zusammenstellen, die mir helfen soll, die eigenen Bedürfnisse besser zu erkennen? Falls ich mich in einer bestimmten Situation unwohl fühle oder Frust erlebe, möchte ich schauen, welches Bedürfnis gerade nicht erfüllt ist.”
vgl. Commitment 3: Feeling all Feelings aus The 15 Commitments of Conscious Leadership, J. Dethmer, D. Chapman, K. Warner Klemp, 2014, ISBN 078-0-9909769-0-5, S.80ff. Die Autoren beschreiben in diesem Kapitel u.a., wie wichtig es ist, eigene Gefühle anzuerkennen und fließen zu lassen, damit sie sich nicht zu permanenten Stimmungen verfestigen.
Gewaltfreie Kommunikation, Marshall B. Rosenberg, 12. Auflage 2016, Junfermann Verlag, ISBN 978-3-95571-572-4
vgl. Von emotionaler Versklavung zu emotionaler Befreiung, aus Gewaltfreie Kommunikation, Marshall B. Rosenberg, 12. Auflage 2016, Junfermann Verlag, ISBN 978-3-95571-572-4, S. 67ff
Dare to Lead, B. Brown, 2018, ISBN 978-1785042140, S. 118
siehe TED-Talk von Brené Brown “The Power of Vulnerability” https://www.ted.com/talks/brene_brown_the_power_of_vulnerability
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